1564
Vasquius [Vásquez], Ferdinandus: Controversiae illustres. -- Venezia, 1564
"Schon Vitoria hatte ein Naturrecht aller Völker auf freien Weltverkehr (commercium) gelehrt. Ihm folgten andere spanische Völkerrechtslehrer. Systematisch entwickelte du Lehrt von der Freiheit der Meere als erster der spanische Theologe:
«Es ist tatsächlich eine verdächtige Theorie, wenn gesagt wird, es sei das gute Recht der Genuesen oder sogar der Venezianer, andere am Befahren des Tyrrhenischen oder Adriatischen Meeres zu hindern, wie wenn sie die Wasserfläche durch Verjährung erworben hätten. Das ist nicht nur gegen das römische Recht, sondern auch gegen das natürliche Recht oder primäre Völkerrecht, das insoweit nicht geändert werden kann. Dass die genannte Theorie gegen das natürliche Recht verstößt, ergibt sich daraus, dass nach diesem Recht nicht nur die Meere, sondern auch alle übrigen unbeweglichen Sachen im Anfang von Rechts wegen gemeinsam waren. Wenn später von diesem Recht teilweise abgewichen worden ist, nämlich bezüglich des Eigentums an Grund und Boden, das nach natürlichem Recht gemeinsam war, dann aber geteilt und unterschieden, also aus jener Gemeinschaft herausgenommen wurde, so liegt dieser Fall bei der Herrschaft über das Meer nicht vor : sie war von Anbeginn der Welt an immer und ist bis auf den heutigen Tag unverändert allen gemeinsam. Und wenn ich auch zahlreiche Stimmen aus Portugal in dem Sinne gehört habe, dass ihr König die Indienfahrt und den weiten Ozean derart durch Verjährung erworben habe, dass es den übrigen Nationen nicht erlaubt sei, jene Meeresflächen zu durchqueren, und wenn bei uns in Spanien die öffentliche Meinung auf ungefähr dem gleichen Standpunkt steht, wonach also das unermessliche große Meer nach Westindien, das unsere mächtigen spanischen Könige unterworfen haben, von anderen Sterblichen als Spaniern nicht befahren werden darf, wie wenn dieses Recht von ihnen ersessen worden wäre, so ist das alles gleichwohl genau so unvernünftig wie die phantastische Theorie, die gewöhnlich ungefähr das gleiche von den Genuesen und Venezianern behauptet. Das Sinnlose solcher Behauptungen geht schon deutlich daraus hervor, dass diese einzelnen Nationen nicht gegen sich selbst Rechte erwerben können, nicht die Republik Venedig gegen sich selbst, nicht die Republik Genua gegen sich selbst, nicht das Königreich Spanien gegen sich selbst, nicht das Königreich Portugal gegen sich selbst. Es muss nämlich bei der praescriptio [Ersitzung] einen aktiven und einen passiven Teil geben, die nicht in der gleichen Person vereinigt sein können. Gegen die anderen Nationen aber ist eine praescriptio erst recht nicht möglich, denn das Recht der Verjährung und Ersitzung ist, wie wir früher gezeigt haben, ein rein privatrechtliches Institut. Dieses Recht wirkt nicht auf die gegenseitigen Angelegenheiten der souveränen Fürsten oder Völker. Das rein interne Recht eines Landes kommt für die fremden Völker, Staaten oder auch Einzelpersonen so wenig in Betracht, wie wenn es ein solches Recht überhaupt nicht gäbe oder je gegeben hätte, und es ist auf das allgemeine primäre oder sekundäre Natur- und Völkerrecht) zurückzugreifen. Nach diesem steht aber fest, dass eine solche Ersitzung und Aneignung am Meere niemals zulässig gewesen ist. Noch heute ist der Gebrauch der Gewässer gemeinsam, nicht anders als bei Beginn der Welt. An den Gewässern und Meeren gibt es für die Menschheit kein anderes Recht, und kann es kein anderes geben als das auf den allgemeinen Gebrauch. Außerdem gibt es ein Gebot des natürlichen und göttlichen Rechts: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füge auch keinem ändern zu; die Seefahrt kann aber niemand schädlich sein, es sei denn dem Seefahrer selbst, und deshalb ist es billig, dass sie von niemand behindert werden kann oder darf; niemand darf in einer Sache, die ihrer Natur nach frei und ihm selbst in keiner Weise schädlich ist, die Freiheit der Seefahrer behindern und verletzen entgegen dem genannten Gebot und entgegen der Regel, wonach alles als erlaubt zu gelten hat, was nicht ausdrücklich verboten ist. Ja es wäre nicht nur gegen das natürliche Recht, diese Schifffahrt unter dem Vorwand der Verjährung stören zu wollen — denn dem Störer nützt es in keiner Weise und schadet dem Gestörten —, sondern wir sind im Gegenteil auch verpflichtet, den Mitmenschen zu nützen, wo immer wir können, wenn es ohne Schaden für uns geschehen kann...»" [E. Reibstein]
[Übersetzung: Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus / bearbeitet von Fritz Dickmann -- 3. Auflage. -- München : Bayerischer Schulbuch-Verlag, ©1982. -- (Geschichte in Quellen). -- ISBN 3762760845. -- S. 385f. --
Vasquius [Vásquez], Ferdinandus: Controversiae illustres. -- Venezia, 1564
"Schon Vitoria hatte ein Naturrecht aller Völker auf freien Weltverkehr (commercium) gelehrt. Ihm folgten andere spanische Völkerrechtslehrer. Systematisch entwickelte du Lehrt von der Freiheit der Meere als erster der spanische Theologe:
«Es ist tatsächlich eine verdächtige Theorie, wenn gesagt wird, es sei das gute Recht der Genuesen oder sogar der Venezianer, andere am Befahren des Tyrrhenischen oder Adriatischen Meeres zu hindern, wie wenn sie die Wasserfläche durch Verjährung erworben hätten. Das ist nicht nur gegen das römische Recht, sondern auch gegen das natürliche Recht oder primäre Völkerrecht, das insoweit nicht geändert werden kann. Dass die genannte Theorie gegen das natürliche Recht verstößt, ergibt sich daraus, dass nach diesem Recht nicht nur die Meere, sondern auch alle übrigen unbeweglichen Sachen im Anfang von Rechts wegen gemeinsam waren. Wenn später von diesem Recht teilweise abgewichen worden ist, nämlich bezüglich des Eigentums an Grund und Boden, das nach natürlichem Recht gemeinsam war, dann aber geteilt und unterschieden, also aus jener Gemeinschaft herausgenommen wurde, so liegt dieser Fall bei der Herrschaft über das Meer nicht vor : sie war von Anbeginn der Welt an immer und ist bis auf den heutigen Tag unverändert allen gemeinsam. Und wenn ich auch zahlreiche Stimmen aus Portugal in dem Sinne gehört habe, dass ihr König die Indienfahrt und den weiten Ozean derart durch Verjährung erworben habe, dass es den übrigen Nationen nicht erlaubt sei, jene Meeresflächen zu durchqueren, und wenn bei uns in Spanien die öffentliche Meinung auf ungefähr dem gleichen Standpunkt steht, wonach also das unermessliche große Meer nach Westindien, das unsere mächtigen spanischen Könige unterworfen haben, von anderen Sterblichen als Spaniern nicht befahren werden darf, wie wenn dieses Recht von ihnen ersessen worden wäre, so ist das alles gleichwohl genau so unvernünftig wie die phantastische Theorie, die gewöhnlich ungefähr das gleiche von den Genuesen und Venezianern behauptet. Das Sinnlose solcher Behauptungen geht schon deutlich daraus hervor, dass diese einzelnen Nationen nicht gegen sich selbst Rechte erwerben können, nicht die Republik Venedig gegen sich selbst, nicht die Republik Genua gegen sich selbst, nicht das Königreich Spanien gegen sich selbst, nicht das Königreich Portugal gegen sich selbst. Es muss nämlich bei der praescriptio [Ersitzung] einen aktiven und einen passiven Teil geben, die nicht in der gleichen Person vereinigt sein können. Gegen die anderen Nationen aber ist eine praescriptio erst recht nicht möglich, denn das Recht der Verjährung und Ersitzung ist, wie wir früher gezeigt haben, ein rein privatrechtliches Institut. Dieses Recht wirkt nicht auf die gegenseitigen Angelegenheiten der souveränen Fürsten oder Völker. Das rein interne Recht eines Landes kommt für die fremden Völker, Staaten oder auch Einzelpersonen so wenig in Betracht, wie wenn es ein solches Recht überhaupt nicht gäbe oder je gegeben hätte, und es ist auf das allgemeine primäre oder sekundäre Natur- und Völkerrecht) zurückzugreifen. Nach diesem steht aber fest, dass eine solche Ersitzung und Aneignung am Meere niemals zulässig gewesen ist. Noch heute ist der Gebrauch der Gewässer gemeinsam, nicht anders als bei Beginn der Welt. An den Gewässern und Meeren gibt es für die Menschheit kein anderes Recht, und kann es kein anderes geben als das auf den allgemeinen Gebrauch. Außerdem gibt es ein Gebot des natürlichen und göttlichen Rechts: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füge auch keinem ändern zu; die Seefahrt kann aber niemand schädlich sein, es sei denn dem Seefahrer selbst, und deshalb ist es billig, dass sie von niemand behindert werden kann oder darf; niemand darf in einer Sache, die ihrer Natur nach frei und ihm selbst in keiner Weise schädlich ist, die Freiheit der Seefahrer behindern und verletzen entgegen dem genannten Gebot und entgegen der Regel, wonach alles als erlaubt zu gelten hat, was nicht ausdrücklich verboten ist. Ja es wäre nicht nur gegen das natürliche Recht, diese Schifffahrt unter dem Vorwand der Verjährung stören zu wollen — denn dem Störer nützt es in keiner Weise und schadet dem Gestörten —, sondern wir sind im Gegenteil auch verpflichtet, den Mitmenschen zu nützen, wo immer wir können, wenn es ohne Schaden für uns geschehen kann...»" [E. Reibstein]
[Übersetzung: Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus / bearbeitet von Fritz Dickmann -- 3. Auflage. -- München : Bayerischer Schulbuch-Verlag, ©1982. -- (Geschichte in Quellen). -- ISBN 3762760845. -- S. 385f. --
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