Wednesday, May 14, 2008

Los Chunchos

1596

Der Jesuit Antonio de Ayanz (1559, Güendulain - 1598, La Paz) zur Mita (Arbeitsverpflichtung für Indios im Silberbergbau):
"Kurze Schilderung der Leiden und Benachteiligungen, denen die Indios von der Gegend um Cuzco bis nach Potosí aus der besten und reichsten Region Perus ausgesetzt sind. Dieser Bericht ist verfasst von sehr erfahrenen und gewissenhaften Personen, die von jeglichem Interesse an weltlichen Gütern frei sind und deren einziger Wunsch es ist, dass Gott unser Herr nicht allzu erzürnt sein möge über all den Schaden, den die Indios an ihren Seelen und ihrem Gut erleiden; ferner dass das Gewissen Seiner Majestät erleichtert und nichts von den königlichen Einkünften veruntreut werde, sondern diese fürderhin ungeschmälert der Krone zufließen (1596)

In den Provinzen zwischen Potosí und der Gegend von Cuzco hat die Indiobevölkerung derart abgenommen, dass die Dörfer verlassen und die Versorgungsstationen (tambos) ohne Personal und Bedienung sind. Es ist schon überall bekannt, wie menschenleer und verlassen das ganze Land ist. Neben anderen Schäden erwächst daraus ein großer Nachteil für die königlichen Finanzen: in vielen Gegenden können keine Tribute und Steuern mehr erhoben werden, und viele Einwohner sind schon im Verzug mit den Abgaben. [. . .]

Es gibt, abgesehen von einigen anderen gewichtigen und nachfolgend aufgeführten Motiven; zwei Hauptgründe für die Flucht so vieler Indios aus ihren Dörfern in andere Gegenden:

  • Alljährlich ziehen viele Indios nach Potosí, um die Mita von Potosí, d. h. die Arbeitsverpflichtung in den Minen, abzuleisten.
  • Es werden dauernd und in großem Umfang Waren von einer Provinz zur anderen transportiert. [. . .]

1. Kapitel: Über die Mita von Potosí und die Schäden und Nachteile, welche die Indios dadurch erleiden

In der ganzen Welt sind die großen Silberschätze bekannt, die aus diesem Reich Peru, vor allem aus dem Berg und den Silberminen von Potosí kommen. Dieser Berg liegt in einer Entfernung von 40 bis mehr als 100 Meilen [200-600 km] von den Dörfern der Indios entfernt, die dort arbeiten. Auf Grund der Beschaffenheit des Landes liegen die Wohngebiete der Indios nicht beiderseits der Stadt Potosí, sondern ziehen sich an der Stadt entlang.

Aus den übrigen Bezirken oder Provinzen kommen alljährlich insgesamt 13 000 Indios, um in den Bergwerken zu arbeiten. Zwar erfüllen einige Orte ihre Verpflichtung, Arbeiter zu stellen, in voller Höhe, doch die meisten sind nicht in der Lage, die von ihnen geforderte Zahl von Arbeitskräften zu entsenden.

Zum besseren Verständnis dieses Sachverhalts soll hier aufgeführt werden, welche Veränderungen sich alljährlich in der Provinz Chucuito [Titicaca—Hochland] durch Abwanderung und Rückkehr von Indios ergeben.
Ähnliche Verhältnisse müssen in den übrigen Provinzen, wie z.B. bei den Carangas, bei den Pacajes und in Paria und Humasuyo, auf der ganzen [Hochebene von] Collado und im Gebiet der Canas und Canches [südlich von Cuzco] vorausgesetzt werden. Diese Provinz [Chucuito] teilt sich in sieben Bezirke auf. Bei der letzten Zählung vor 16 Jahren lebten dort insgesamt 17000 Indios im Alter von 18 bis 50 Jahren, wobei auch die jeweils Abwesenden mitgezählt wurden. Vor einigen Jahren gingen von dort nur 1100 Indios zur Mita. Auf Geheiß des damaligen Vizekönigs D. Francisco de Toledo wurde diese Zahl auf 2200 erhöht.

  1. Diese Indios nehmen normalerweise ihre Frauen und Kinder mit, so dass sich ihre Gesamtzahl auf über 7000 Seelen beläuft. Jeder Indio nimmt zudem mindestens 8-10 Lamas sowie einige Pacos oder Alpacas als Schlachttiere mit. Andere, die mehr Besitz haben, nehmen 30-40 Lamas mit, auf denen sie Nahrungsmittel, Kochgerät sowie die groben Wolldecken transportieren, mit denen sie sich zudecken und vor der Kälte schützen, denn sie schlafen immer im Freien.

    Die Indios nehmen also je nach der Größe ihres Besitzes mehr oder weniger Vieh mit, so dass im allgemeinen zwischen 40000 und 45000 Stück Vieh mitgeführt werden; in einem Jahr waren es sogar 53000. Zusammen mit Chuno [gefrorenen und getrockneten Kartoffeln], Mais, Quinoamehl und Dörrfleisch, das sie Charqui nennen, sowie neuen Kleidungsstücken dürfte der "Wert des Mitgeführten mehr als 320000 Pesos derzeitiger Währung betragen.

    So machen sich diese Indios mit all ihrer beweglichen Habe auf den Weg nach Potosí, und für die Strecke von etwa 100 Meilen brauchen sienormalerweise zwei Monate, denn sie können das Vieh nicht zu größerer Eile antreiben. Auf dem ganzen Hinweg und auch auf dem Rückweg in ihre Dörfer verpflegen sie sich auf eigene Kosten, ohne dass sie für diesen beträchtlichen Aufwand irgendeine Entschädigung erhalten.
  2. Sie lassen ihren Heimatort, ihre Herden und Acker schutzlos zurück. Auch wenn einige das wenige, was sie zurücklassen, ihren Verwandten anvertrauen und tatsächlich zurückkehren, finden sie ihren Besitz so verwahrlost und schlecht geführt vor, dass sie es für besser halten, überhaupt nicht mehr heimzukommen, weil sie aus Erfahrung wissen, dass nur neue Not und Mühsal auf sie zukommt.
  3. Bei der Trennung spielen sich zwischen den Dorfbewohnern bewegende und traurige Szenen ab, wie bei Leuten, die gegen ihren Wunsch ihre Heimat verlassen und sich in offenkundige Lebensgefahr begeben, wie später noch zu beschreiben sein wird, und die aus gutem Grund befürchten müssen, darin umzukommen. Andere werden von dem Gedanken an die Mühsal und den Verlust ihres Besitzes, die ihnen bevorstehen, so verstört und aus der Bahn geworfen, dass sie sich dem Laster und der Trunksucht hingeben. Andere nehmen [den Auszug in die Fremde] zum Anlass, ihre Frauen zu verlassen, und leben mit ihren Töchtern oder Schwestern oder mit anderen Indiofrauen in wilder Ehe zusammen. Da der Geistliche der Pfarrei, in der sie sich nach ihrer Ankunft in Potosí niederlassen, dies nicht anerkennt, verbleiben sie in ihren sündigen Lebensumständen, und nach Ablauf ihres Mitajahres flüchten sie in die Täler und schlüpfen bei irgendeinem Chacarer [spanischem Landbesitzer] unter, der ihre wilde Ehe anerkennt.

    So ergibt es sich, dass in der genannten Provinz die Frauen [oft] ohne eigene Schuld über sieben, acht oder gar zehn Jahre die Steuern ihrer Männer zahlen müssen, und ihr Weinen und Klagen ist herzzerreißend mitanzusehen. [. . .] Auf die gleiche Weise werden die Steuern von den Töchtern und Schwestern vieler abwesender Indios erhoben, von denen nicht feststeht, ob sie tot sind oder ob und wohin sie geflüchtet sind und was aus ihnen geworden ist, und jene zahlen die gesamten Steuern über viele Jahre mit ebensoviel Weinen und Klagen wie die vorher genannten Frauen.

  4. Wenn alle diese Leute in Potosí angekommen sind, wird ihre Zahl überprüft, und wenn einer fehlt oder wenn von denen, die die Provinz verlassen haben, 100 oder 200 Indios in die Täler geflohen sind, die zu beiden Seiten des Weges liegen, wird ein Justizbeamter auf Tagegeld von Potosí ausgesandt, um Ersatz für die Fehlenden in gleicher Anzahl aus ihrer Provinz zu holen. Da aber nie nach denen gesucht wird, die in die Täler geflohen sind, und da so wenige aus Potosí zurückkehren, hat die Bevölkerung immer mehr abgenommen, so dass heute die Zahl von 2200 Indios, die alljährlich nach Potosí zogen, nicht mehr erreicht werden kann, selbst wenn heute alle Bewohner der Provinz Chucuito auf einmal herausgeholt würden.
  5. Obwohl Don Francisco de Toledo nur deshalb 200 Indios zusäzlich zu den 2000 anforderte, um die Ausfälle, Verluste und Desertionen der übrigenauszugleichen, hat man sich nie daran gehalten. Auch wenn nur 20 Indiosfehlen, werden, wie oben erwähnt, besagte Lohnbeamte ihretwegen ausgesandt. Oft kommen die Beamten aus Potosí nur in die Provinz, um den Lohn für ihre Reisetage einzufordern, und auch wenn die Kaziken, denen die Bereitstellung der fehlenden Indios obliegt, gar keine Schuld trifft, weil sie keine Indios mehr haben, so müssen sie doch dem Beamten Strafgelder zahlen. Die Beamten sind von Potosí aus mit solchen Machtmitteln ausgestattet, dass sie diese Gelder eintreiben können, ohne Gewalt anwenden zu müssen, und sie werden mit Namen bedacht, die man hier gar nicht wiedergeben kann.
  6. Wenn die Indios sich in ihren Pfarrgemeinden niedergelassen haben, werden sie zur Arbeit in den Bergwerken gezwungen; diejenigen, die diese Zwangsarbeit verrichten, werden Indios Cedulas genannt. Wenn ein Spanier oder Minero [Grubenverwalter] eine Cedula13 für 10 oder 20 Indios erhält, geht er zu ihren Unterkünften und holt sie mit roher Gewalt unter Peitschenhieben und Misshandlungen heraus, wenn sie sich nicht so beeilen, wie er es wünscht. Wenn der zum Anführer ernannte Indio ihm nicht die volle auf der Cedula genannte Anzahl von Indios bereitstellt, wird er oft geohrfeigt und misshandelt, bis die volle Zahl erreicht ist. Wenn der Minero seine Indios so weit gebracht hat, dass sie in das Bergwerk einfahren und das Metall abbauen, und wenn sie ihm dann nicht genug herausholen, bekommen sie solche Peitschenhiebe und Fußtritte, dass viele behaupten, die Peitschenhiebe auf den Galeeren seien weniger schlimm. Dabei kann der arme Indio oft gar nicht mehr, denn die Mine ist sehr tief, die schweren Lasten erschöpfen seine Kräfte und er muss befürchten, zu stürzen und zu Tode zu kommen. Da das Metall sehr hart ist und der Arbeiter mit der Brechstange nur sehr wenig fördern kann, fürchten die Indios diese harte und schwere Arbeit sehr, zumal es oft vorgekommen ist und immer noch geschieht, dass die Spanier die Indios mit Tritten und Peitschenhieben zu Tode schinden.Der Lohn, den sie als Entschädigung wöchentlich erhalten, beträgt 2x/2 Pesos heutiger Währung, was 20 Realen entspricht. Um ermessen zu können, in welch schlimme und elende Lage sie durch eine solchen Hungerlohn versetzt werden, soll hier gesagt werden, wie viel sie bei größter Einschränkung zum Leben ausgeben müssen:

    In den letzten Jahren hat eine Fanega [55 1] getrockneter Kartoffeln (chuno) 20, 22 und 24 Pesos heutiger Währung und auch mehr gekostet und eine Fanega Mais kaum weniger. Wenn man nun rechnet, dass ein Indio im Monat mindestens eine halbe Fanega Chuno isst — bei Mais ist es noch mehr, weil dieser beim Kochen nicht aufquillt wie der Chuno -, so bezahlt er für diese halbe Fanega 10 Pesos, meist aber noch mehr; außerdem gibt er im Monat noch wenigstens 2 Pesos für Maismehl aus. Pro Monat verbraucht er das Fleisch eines Alpacas, und wenn es 4 Pesos kostet, ist das noch wenig. Für Fisch, Pfeffer und Salz zahlt er immer 2 Pesos, für Brennmaterial zum Kochen wie Holz oder Lama-Mist mit Stroh, was sie Hichu nennen, gibt er wöchentlich einen Peso aus, denn dort ist das sehr teuer; am Monatsende sind das 4^/2 Pesos. Die meisten Indios verbrauchen täglich Coca im Wert von 2 Realen; da jährlich Tausende von Körben voll Coca nach Potosí geliefert werden, ist klar, dass es alle nehmen. Manche geben täglich 2 Realen aus, andere il/2, und wieder andere - allerdings nur wenige - einen Real. Das ergibt, wenn man einen möglichst niedrigen Wert ansetzt, mindestens 5 Pesos monatlich. Dazu käme noch ein Peso, den ein Indio mindestens pro Monat für Chicha [Maisbier] ausgibt. Dieser Posten ist aber in dieser Aufstellung ebensowenig berücksichtigt wie Obst und andere Dinge, die hie und da nur dann gekauft werden, wenn man sie dringend braucht.

    Es ergibt sich so ein Gesamtbetrag von 281/2 Pesos; nichteingerechnet sind dabei die Ausgaben für Kochgeschirr, für die Decken,die bei der Arbeit im Bergwerk schadhaft werden, für Kleidung, für die jährliche Steuer von 30 Pesos heutiger Währung, sowie die Ausgaben fürEssen und Kleidung von Frau und Kindern, die mindestens genauso hoch sind wie für den Indio selbst. Zu all diesem kommt noch, dass der Mineroihm oft nicht den vollen Lohn zahlt, weil er angeblich seine Arbeit nicht im vollen Umfang erledigt hat, so dass der arme Indio im Monat nur so viel bekommt, wie er für seine eigene Person ausgibt. Mit Steuern und Ausgaben für Kleidung wären dies mehr als 32 Pesos, wozu dann noch Essen und Kleidung für die Familie kommen, was über 60 Pesos ergibt. Der Lohn dagegen, den er ausbezahlt bekommt, beträgt oft nur 11 1/2 Pesos. [. . .]
  7. Neben den obengenannten Verlusten, der Strenge und den Peitschenhieben der Mineros sowie den anderen bereits geschilderten elenden Lebensumständen fürchten die Indios vor allem die große Lebensgefahr, in die sie sich beim Einfahren in die Gruben begeben. Diese sind nämlich sehr tief und das Ein- und Ausfahren wegen der häufigen Erdrutsche und des
    Steinschlags äußerst gefährlich; viele sind durch herabfallendes Gestein schon übel zugerichtet oder gar getötet worden. Manche rutschen auch auf den aus Lederriemen gefertigten Leitern aus, und wenn einem Vorausgehenden etwas aus der Hand fällt oder er durch irgendein Missgeschick ausgleitet, verletzt oder tötet er die hinter ihm Gehenden. So werden jede Woche mindestens sieben oder acht Bergarbeiter verletzt, erleiden Bein-, Arm- oder Schädelbrüche oder Verletzungen am ganzen Körper. Alle zwei Wochen werden ein bis zwei tödliche Unfälle bekannt, ganz abgesehen von jenen Vermissten, die wohl zerschmettert am Grunde des Schachts liegen. Darüber hinaus gibt es oft Unfälle mit 30 oder 40 Toten, wenn ein Teil des Bergwerks einstürzt und die Arbeiter verschüttet. Manche werden bei lebendigem Leib begraben, und von benachbarten Stollen nimmt man ihnen mit lauten Rufen die Beichte ab. All diese Dinge müssen größtes Bedauern und Mitleid erwecken, und diejenigen, die sie erleiden, fürchten sie mehr als den Tod. Und so geschieht es, dass manche dieser unglücklichen Indios - Gott gebe es, es wären nicht so viele - unter dem Druck der erfahrenen Mühsale, bei denen sie so viel von ihrer Habe verloren und nur die anderen bereichert haben, aus Furcht vor der Gewalttätigkeit und Härte der ihre Arbeit beaufsichtigenden Mineros, angesichts der beständigen Lebensgefahr und vor Kummer darüber, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, sich vom Teufel in falscher Hoffnung täuschen lassen, am Leben verzweifeln und sich erhängen. So hat es allein in einem Dorf dieser Provinz fast jedes Jahr einen Fall von Erhängen gegeben; doch das wird verschwiegen, und man versucht nicht mehr, solche Fälle bei Stellen vorzubringen, von denen man sich Abhilfe erhofft.

    Viele Indios, die über einen gewissen Wohlstand verfügen, werben für Geld andere an, die an ihrer Stelle nach Potosí gehen, wenn die Mita sie trifft. Die Mindestpreise, die von manchen noch überboten werden, sind im folgenden aufgeführt: Zunächst 30 Alpacas im Wert von 300 Pesos, 12 Lamas im Wert von 50 Pesos, außerdem 8 Traglasten Lebensmittel, zusammen 4 Fanegas im Wert von 36 Pesos. Manchmal bieten sie auch 12 Traglasten und geben darüber hinaus zwei Ausstattungen mit neuer Kleidung. Außerdem
    zahlen sie 30 Pesos heutiger Währung, die sie als Steuern in Potosí zahlen. Zusammen ergibt sich ein Betrag von mehr als 426 Pesos für einen Indio allein. Man schätzt sich glücklich, wenn man jemand gefunden hat, der bereit ist, für diese Bezahlung [nach Potosí] zu gehen; dieser erhält dann zusätzlich zu der obengenannten Entschädigung noch den Lohn, der ihm in Potosí gezahlt wird.

Gemäß den Anweisungen des Don Francisco de Toledo müssen die genannten 200 Indios nach Ablauf ihrer einjährigen Mita in ihre Dörfer zurückkehren, wenn die nächsten 2200 eintreffen, die nach ihnen dieselben Arbeiten übernehmen.

Während bisher [der Rückkehr der Indios in ihre Heimatdörfer] keinerlei Beachtung geschenkt wurde, erscheint es zweckmäßig, hier anzugeben, wie viele zurückkehren, was sie von ihrem ursprünglich mitgeführten Besitz wieder zurückbringen und wieviel sie in Potosí verdient haben.

Auf Grund von gesicherten Aussagen und nicht nur von Vermutungen und Annahmen ist bekannt, dass nicht einmal 500 Indios zurückkehren, während der Rest mit Frauen und Kindern, zusammen etwa 5000 Seelen, in Potosí bleibt oder in den Tälern abseits des Weges verschwindet. [. . .]

Von den mehr als 30000 Stück Vieh, die sie mit sich geführt hatten, kommen weniger als 1000 oder gar 500 zurück, und die Indios kehren so arm und zerlumpt zurück, dass es Mitleid erregt, wie sie von Tür zu Tür und bei den Vorübergehenden um Almosen betteln. Dabei trägt der Mann ein Kind, die Frau ein zweites auf dem Rücken, und im allgemeinen weiß man schon, ohne zu fragen, woher sie kommen, wenn man sie nur sieht, wie sie so arm und zerlumpt mit Klagen, Tränen und tiefgebeugt Almosen erbetteln, um in ihre Dörfer zurückkehren zu können. Wenn ein Indio etwas Geld mit heimbringt, dann ist es keiner von denen, die gearbeitet haben, sondern einer, der angeschafft hat. Wenn man nun überschlägt, dass jeder dieser 2200 Indios 30 Pesos an Steuern an den König gezahlt hat, welch große Mengen an Silber die Mineros aus den Bergwerken abgebaut haben, wie reich sie durch die Arbeit der Indios geworden sind und wie viel sie davon als Quinto [Fünftel] an Seine Majestät entrichtet haben; ferner, dass viele, denen 10 oder 20 Indios de Cedula zugeteilt wurden, pro Jahr an jedem Indio schätzungsweise 100 Pesos verdient haben; [wenn man zudem bedenkt,] dass die bedauernswerten Indios von ihrem Besitz mehr als 320000 Pesos mitgebracht und völlig verbraucht haben, um sich ernähren, kleiden und die Steuern bezahlen zu können, und ohne einen Real oder Maravedi zurückkehren; dass diejenigen, die in die Täler fliehen oder in Potosí bleiben, ganz ohne Mittel dastehen, so ist aus dieser Rechnung nur der Schluss zu ziehen, dass sich alle anderen an ihnen bereichern und sie allein in der beschriebenen Weise verarmen.

Einige Kaziken lassen sich oft bestechen und schicken nicht die Indios nach Potosí, die entsprechend dem Verteilungsplan eigentlich dazu verpflichtet wären. Dafür lassen sie sich 200 oder 300 Silberpesos oder Gegenstände in entsprechendem Wert schenken. Manchmal werden sie auch bestochen, um solche Indios zu benennen, die eigentlich nicht nach Potosí gehen müssten.

2. Kapitel: Beschreibung des Trajín und der Schäden und Nachteile, welche den Indios daraus erwachsen

Im folgenden wird beschrieben, was der Transportdienst (trajín) eigentlich ist. Dann wird der Grund klar, warum die Indios nicht in ihre Dörfer zurückkehren. Sobald sie nämlich zurückkommen, werden sie sofort zum Transportdienst verpflichtet, und anstatt von den Strapazen auszuruhen, die sie in Potosí erlitten haben, müssen sie gleich wieder an die Arbeit, wobei sie wieder große Verluste hinnehmen müssen.

Der Transportdienst ist folgendermaßen organisiert: Der Corregidor einer Provinz weist die Kaziken seines Bezirks an, ihm 100 Indios zur Verfügung zu stellen, die mit den Lasttieren dieses Corregidors Coca aus Paucar-tambo und Wein aus den Tälern von Arequipa holen sollen. Manchmal kauft er selbst die Coca oder den Wein und lässt sie auf seinen Lasttieren transportieren, manchmal sind die Waren für andere bestimmt, und er hat sich gegen Bezahlung verpflichtet, sie mit seinen Lasttieren und den Indios nach Potosí zu bringen; das wird dann als Frachtauftrag oder „fletar" für Wein oder Coca bezeichnet. Außerdem geben die Corregidores oft dahergelaufenen Soldaten und Freunden die Anweisung, bei den Kaziken ihres Gerichtssprengels die von ihnen angeforderten Indios auszuheben.
Pro Monat erhält jeder Indio 5 Pesos zu 8 Realen; die ausgehobenen Indios übernehmen die Verantwortung für die Lasttiere und ziehen damit zu dem Ort, wo Coca oder Wein aufgeladen wird. Anschließend kehren sie mit den Tieren zu ihrem Dorf zurück und werden dort von anderen abgelöst, die den Transport nach Potosí übernehmen. Für den ganzen Weg brauchen sie gewöhnlich sechs oder sieben Monate und manchmal auch mehr. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Indios, die den Transport übernehmen, für den Rückweg in ihre Dörfer keine Bezahlung bekommen, und nach kurzer Zeit sind so wenige Indios in den Dörfern übrig, dass keine Ablösung mehr vorgenommen wird, sondern ein und derselbe Indio den Transport über die ganze Strecke übernehmen muss. Auch dieser Dienst ist mit einer kaum tragbaren Verantwortung verbunden, und die Indios fürchten und verabscheuen ihn fast ebenso wie die Arbeitsverpflichtung in Potosí:

  1. Der Monatslohn von 5 Pesos ist äußerst niedrig, denn der monatliche Verbrauch jedes Indios ist ebenso hoch wie bereits im Kapitel über Potosí beschrieben, außer dass die Preise etwas niedriger liegen. [. . .]
  2. Sie müssen auf eigene Kosten die Isargas [Netze, in denen die Weinkrüge transportiert werden] und Seile aus Espartogras flechten.
  3. Jeder von diesen Indios führt zwei eigene Lamas mit, beladen mit seinen Lebensmitteln sowie einer Schlafdecke und einer Matte, mit der er sich nachts vor Kälte und Nässe schützt, denn die Indios schlafen immer im Freien.
  4. Der Auftraggeber verlangt von diesen Indios die vollständige Übergabe der Lasttiere zusammen mit den Weinkrügen und den Coca-Körben. Wenn nun etwas fehlt und der Indio keine klare und eindeutige Erklärung abgeben kann, dass er keine Schuld daran trägt, muss er den ganzen Schaden selbst bezahlen.

    Zwar ist es nicht zu leugnen, dass die Indios manchmal etwas stehlen, vor allem, wenn sie meinen, dass es nicht auffallen wird. Der Normalfall ist aber, dass Weinkrüge gegeneinanderschlagen und ohne Verschulden der Indios zerbrechen, weil so viele Lasttiere eng beieinander gehen. In anderen Fällen ragen auf der Strecke Felsen in den Weg hinein, so dass die Krüge dagegenschlagen. Ein andermal stoßen sie gegen Häuserecken in den Orten, durch die sie ziehen. Sehr oft kommt es auch vor, dass das Lasttier aus irgendeinem Grund scheut, einen Satz tut, als erstes ein paar Krüge am Boden zerschellen und beim Nachbartier noch mehr zu Bruch gehen. Wenn die Indios diese Entschuldigungen vorbringen, hält man sie für erfunden, und sie müssen die fehlenden Krüge bezahlen, und zwar nicht zum Einkaufspreis, sondern zu dem höheren Preis, den sie in dem Dorf kosten, wo sie anscheinend zerbrochen sind. Wenn ein armer Indio 8 oder 9 Pesos für jeden zerbrochenen Krug zahlen muss, wird er verständlicherweise keinen Krug
    zerbrechen oder austrinken wollen, um nicht so viel Geld ausgeben zu müssen.


  5. Es kommt vor allem in der Nacht vor, dass eines von den Tieren, die ihnen für den Transport anvertraut wurden, ausbricht, wenn z. B. irgendein Raubtier in die Nähe kommt. Wenn der Indio das Tier am Morgen beladen will, hat es sich manchmal so weit verlaufen, dass er nicht einmal weiß, wo er es suchen soll. Oft wird auch eines der Tiere in der Nacht von anderen Indios gestohlen.

    Wenn der arme zum Transport verpflichtete Indio keinen Beweis erbringen kann, dass das verlorengegangene Tier aus Erschöpfung, Alter oder Krankheit gestorben ist, muss er für den Verlust vollständig aufkommen. Der Spanier, dem das verlorengegangene oder verendete Tier gehörte, sagt natürlich immer, dass es das beste Tier der Herde gewesen sei und dass man es ihm als Zuchttier gestohlen habe, und so verlangt er für jedes Tier 10 Pesos. Dabei möchte man meinen, dass das eigentlich unangemessen ist, denn untereinander können sie ebensogute und bessere Tiere für weniger Geld kaufen. Allerdings gibt es einige, wenn auch wenige Spanier, die dies nicht so unerbittlich handhaben, sondern mehr Entgegenkommen und christliche Gesinnung zeigen.

  6. Diese Indios erleiden großen Schaden und Verlust an ihrem eigenen Vieh, das sie auf der Weide gelassen haben. Wenn die anderen nämlich sehen, dass der Besitzer abwesend ist, stehlen sie es und fürchten weder seine Frau noch seine Kinder. Solche Fälle sind oft vorgekommen und allseits bekannt.
    Außerdem muss man sich viel um das Vieh kümmern, damit es gedeiht und sich vermehrt. Wenn der Besitzer abwesend ist, kommt es herunter; ein Teil davon läuft auch weg. [. . .]

11. Kapitel: Es handelt davon, wie viele Indios wegen der beschriebenen Leiden und Nachteile in verschiedenen Gegenden geflüchtet sind und noch flüchten

Die oben beschriebenen Umstände und noch einige andere, die man verschwiegen hat, waren und sind der Grund, weshalb eine so große Zahl von Indios aus ihren Dörfern in die Täler und Schluchten (guebradas) geflohen sind. Dies hat dazu geführt, dass die Provinz Chuquito, die die beste und dichtestbevölkerte Provinz Perus ist oder vielmehr war, heute so leer und von Indios verlassen daliegt, dass jemand, der sie vor zehn oder sechs Jahren gesehen hat und heute wieder hinkommt, meinen könnte, es lebte überhaupt niemand mehr in den Ortschaften, die früher 1600, 2000 oder mehr als 3000 Einwohner hatten; heute sind nur mehr 150 davon übrig geblieben.

Als sich vor 20 Jahren die Patres der Gesellschaft Jesu in Juli, einem der beiden größten Orte, niederließen, zählte man 16000 bis 17000 getaufte Seelen, und jeden Sonntag wurden 27 bis 30 Kinder neu getauft. In den letzten Jahren, und besonders im laufenden Jahr 1596, gibt es dort kaum noch jemand, der zur Beichte kommt, höchstens noch Frauen und einige Alte, und an den Sonntagen werden nur noch etwa drei bis vier Kinder, oft nur zwei und manchmal gar keines getauft. Von 3200 Indios, die bei der letzten Zählung vor 16 Jahren zur Gemeinde gehörten, sind nur noch etwa 150 übriggeblieben, die nicht einmal die Patres mehr alle zusammenbringen können. [.. .]

Vor einigen Jahren hieß es, bei den Chunchos, den kriegerischen [Wald-] Indianern, befänden sich viele Indios, die aus allen Teilen des Landes Zuflucht hier finden, und inzwischen wird diese Behauptung allgemein als wahr betrachtet. Vor kurzem kam aus jener Provinz eine sehr vertrauenswürdige Person, die diesen Sachverhalt bestätigte und angab, dass die Zahl der hierher geflohenen Indios sehr groß sei und täglich stark zunehme; allerdings hatte dieser Gewährsmann sie weder selbst gesehen noch konnte er genaue Zahlenangaben machen. Er hatte dies von den Chunchos selbst gehört, mit denen er gut befreundet war; er weiß auch die Namen der betreffenden Volksgruppen, die dem Verband der Chunchos nicht angehören und auch nicht unter ihnen wohnen, sondern getrennt von ihnen durch einen kleinen Gebirgszug. Ihre Dörfer sind umgeben von einem dichten Wald, in den sie sich beim geringsten Anzeichen einer Gefahr oder bei Überfällen wie in eine uneinnehmbare Festung zurückziehen. Sie dort herauszuholen ist so gut wie unmöglich. Sie haben große Maispflanzungen sowie viel Bohnen, Maniok, Camotes [süße Kartoffeln] und Yucca, außerdem viel Obst wie Bananen, Guyavaäpfel, Ananas und andere Sorten, die m der Gegend gedeihen.
Sie gehen viel in die Wälder auf die Jagd von hirschartigen Tieren, Pustelschweinen, Truthähnen und anderen Vögeln, und in der Savanne jagen sie die großen Rebhühner, von denen es dort viele gibt. Sie halten auch viele Enten und Hühner aus Kastilien, und in den Flüssen gibt es reiche Fischbestände
. Auf diese Weise haben sie alles, was sie brauchen, im Überfluss und entziehen sich so all der Not, den Leiden und Entbehrungen, die sie hier [in Potosí] erleiden. Alle kleiden sich in Baumwollstoffe und sind große Bogenschützen und vorzüglich zur Jagd ausgerichtet. Wenn sie auf die Felder gehen, nehmen sie Pfeil und Bogen mit, um unterwegs Wild erlegen zu können, und Indiojungen und auch einige Erwachsene haben ihr Blasrohr dabei, mit dem sie viele Vögel erlegen, von denen sie sich ernähren - kurz, sie haben alles, was sie brauchen. [. . .]

Viele von denen, die in die warmen Täler gehen, ziehen sich in unzugängliche Schluchten zurück, wo es unmöglich ist, sie aufzuspüren; sie halten beständig Ausschau nach Verfolgern, um rechtzeitig fliehen und sich verstecken zu können. Da die Felder ihre Subsistenz sichern, geben sie Haus und Herden auf und entledigen sich so der unzähligen Pflichten und Zwänge, unter denen sie früher in ihren Dörfern zu leiden hatten. Alle diese Flüchtlingsgruppen leben und sterben wie wilde Tiere ohne Beichte und Kenntnis von Gott unserem Herrn.

Andere verdingen sich bei der Flucht in diese Täler bei spanischen Landbesitzern, die durch geschickt verfasste Berichte an die Audiencias 15 Konzessionen (provisiones) erteilt bekommen, sie als Hörige (yanaconas perpetuos) zu behalten. [. . .]

Andere hingegen treffen Abmachungen mit Kaziken oder führenden Indios in diesen Tälern, die in den Ländereien kleine Häuser haben, wo die geflüchteten Indios leben, und wenn ihre eigenen Kaziken kommen, um sie abzuholen und zum Gehorsam zu bringen, sind sie nicht aufzufinden."

[Übersetzung: Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche / hrsgg. von Piet C. Emmer .... -- München : Beck, ©1988. -- (Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion ; Bd. 4). -- ISBN 3406306616. -- S. 432 - 441. -- Dort Quellenangabe.

No comments: